Entwurzelt – Flucht aus Pommern -13-

 

Flucht aus Pommern

Vorwort | Liebeserklärung an Altwieck | Das Ende der Idylle | Das Grauen und die Barbaren | Der Familie entrissen | Die Odyssee | Lotte, liebe Lotte | Flieg‘! Die Rückkehr nach Altwieck | Die neuen Herrscher | Die Flucht | Gen Westen | Das Wiedersehen | Die Sonne scheint wieder


Lotte, liebe Lotte

Den nächsten Morgen, im Dämmergrauen, fuhren zwei Pferdewagen los, um Kleinvieh in Altwieck und Umgebung einzutreiben. Auf dem ersten Wagen vier russische Soldaten. Auf dem zweiten Wagen Blanko und seine zwei serbischen Landsleute, Irma und ich. Wir beide waren in Hochspannung. Unser Zuhause, unser Dorf Altwieck wiederzusehen, war schon sehr aufregend für uns. Vor allem aber wollten wir eine genaue Spur finden, wo genau unsere Eltern und Familien waren. Unsere Angst wurde uns vor Aufregung und Blanko Schutz gemildert. Nach einer langen Fahrt durch den dunklen Wald erreichten wir auf einmal freies Feld. Es fing an etwas hell zu werden, und unsere zwei Gespanne konnten die Umrisse von einem Dorf erkennen. Vor uns lag ein Geisterdorf. Kein Schornstein rauchte, kein Hahn krähte. Es herrschte Totenstille. Ein grauenhaftes Bild – so kannten wir unser Dorf nicht!

Beide Wagen hielten bei dem ersten Hof an. Irma und ich erkannten sofort den Hof von Erhard Holzfuß in Neu-Wieck. Alle Soldaten stiegen vom Wagen und suchten alle Ställe ab, sie fanden aber kein Vieh. Jetzt stürmten sie ins Haus und kamen mit einigen geräucherten Speckseiten heraus. Ich bekam die Aufgabe, beide Pferde vor unserem Wagen festzuhalten. Blanko, seine beiden Landsleute und Irma mussten mit räubern helfen. In dieser Zeit nahm ich zwei Speckseiten vom Wagen. Ich lief in größtem Tempo ins Haus zurück und versteckte beide Speckseiten im Flur unter dem Schrank. Ich hatte ein wunderbares Gefühl, meinen Landsleuten, falls sie zurück kämen, was Essbares versteckt zu haben. In Eile lief ich zu den beiden Pferden, um sie festzuhalten. Beide Pferde waren total abgemagert und übermüdet. Ich hielt beide Pferde am Kopf fest und konnte sie von vorne sehen. Als ich das braune Pferd liebkoste und streichelte, fing es an zu wiehern und legte seinen Kopf an meine Schulter. Was ich hier schreibe, wird mir kaum einer glauben. Es war unsere Fohlenstute Lotte, sie erkannte mich und ich erkannte sie wieder. Das war für uns beide ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Lotte liebkoste mich und ich liebkoste sie. Meine Arme umschlangen ihren Hals und ihr Kopf lag fest auf meiner Schulter. Wir beide verstanden uns. Bis die Räuberbande zurückkam, genossen wir beide unser Wiedersehen. Blanko und Irma erzählte ich, dass dieses Pferd unsere Fohlenstute Lotte ist! Den Beweis dafür konnten sie miterleben. 

Als es schon hell war, fuhren wir von Neu-Wieck auf die Dorfstraße in Altwieck ein. Unsere Lotte steuerte unseren Wagen alleine, direkt auf unsere Hofeinfahrt. Unser zweiter Wagen mit den russischen Soldaten fuhr gerade über, auf den Hof von Herbert Neumann, zum räubern. Unsere Lotte steuerte unseren Wagen durch unser großes, offenes Hoftor auf unseren Hof, direkt vor ihren Pferdestall. Alle glaubten mir jetzt, es ist unsere Lotte! Hier waren sie und ich zu Hause!

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