Leben nach dem Tod
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Die schönsten Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

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Warum bin ich auf der Welt, warum muss ich wieder gehen? Hat mein irdisches Dasein einen höheren Sinn, was ist das Geheimnis von Vergänglichkeit, Alter und Tod? Gibt es ein "Danach"? Es gibt kaum einen bekannten Lyriker auf der Welt, der nicht im Laufe seiner Schaffensperiode Gedanken über diese ewigen Fragen zu Gedicht gebracht hat. Zum Ende seines Lebens wird dem Menschen seine Sterblichkeit besonders bewusst, und viele Dichter erleben dann eine Hochphase ihrer Schaffenskraft, angeregt durch die Tragik des ewigen Vergehens. So entstanden Werke von großer Tiefe und Weisheit. Die schönsten Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit habe ich nachfolgend aufgeführt.
Aber welchen Sinn hat überhaupt ein Gedicht? Das bringt uns zu einer weiteren Frage.

Wie liest man ein Gedicht?

Während eine Zeitung Informationen vermitteln, ein Roman unterhalten will, verfolgt das Gedicht in der Regel einen besonderen Zweck: es möchte eine bestimmte "Stimmung" im Leser erzeugen. Dieser Gemütszustand ist das eigentliche Ziel der Poesie. Besonders bei Gedichten zum Thema Alter und Sterben spürt man die Bewegtheit und auch die Melancholie des Verfassers sehr oft.

Dieses emotionale Erlebnis setzt jedoch etwas voraus: Man muss sich auf das Geschriebene "einlassen". Es ist wie beim Fernsehprogramm: eine bestimmte Filmszene ruft bei dem einen Tränen, beim anderen lediglich Stirnrunzeln hervor, denn: wer sich in eine Situation nicht hineinversetzt, kann einfach nicht "mit-fühlen". Hunderte oder gar tausende in den Nachrichten erwähnte Kriegs-Tote mögen uns kurz aufrütteln. Doch wehe dem, der sich nur auf ein einzelnes dieser Schicksale emotional einlässt!
Es ist vergeblich, ein Gedicht wie einen Artikel in der Zeitung zu überfliegen, es wird nicht zünden. Echte Poesie muss man mit dem Herzen lesen.

Was zeichnet ein gutes Gedicht aus?

Der große deutsche Dichter Theodor Storm, bekannt durch seinen "Schimmelreiter", gilt als Meister der Kurzgeschichte. Er war jedoch ein mindestens so begnadeter Lyriker. In einer Rezension zu einem Buch nannte er einmal die Geheimnisse guter bzw. schlechter Dichtkunst:

"Die eigentliche Aufgabe des lyrischen Dichters besteht [... ] darin, eine Seelenstimmung derart im Gedicht festzuhalten, daß sie durch dasselbe bei dem empfänglichen Leser reproduziert wird [...]. Die besten lyrischen Gedichte sind immer unmittelbar aus der vom Leben gegebenen Situation heraus geschrieben worden; die höchste Gefühlserregung wird, wie das jeder schon im täglichen Leben an sich erfahren mag, auch immer den schlagendsten Ausdruck finden [...]. Es beruht daher auch das willkürliche und massenhafte Produzieren lyrischer Gedichte [... ] auf einem gänzlichen Verkennen des Wesens der lyrischen Dichtkunst; [...] Den echten Lyriker wird sein Gefühl, wenn es das höchste Maß von Fülle und Tiefe erreicht hat, von selbst zur Produktion nötigen, dann aber auch wie mit Herzblut alle einzelnen Teile des Gedichtes durchströmen."

In einem Brief an die junge Dichterin Ada Christen riet er:

"Ich möchte Sie nun eben dazu anreizen, auch das kleinste Gedicht nicht aus der Hand zu lassen, bis es Sie selbst in die behagliche Stimmung innerlichster Befriedigung versetzt, bis es in jeder Silbe das ausprägt, was Ihr Inneres Sie auszuprägen trieb und auch nicht ein Wort oder eine Silbe dabei ist, die bloßes Beiwerk ist. Ein Gedicht, das so beschaffen ist, das bleibt.

Geprägt durch ein Leben voll schmerzlicher Erfahrungen von Trennung und Tod sind die Werke Theodor Storms oft von schwermütiger Stimmung und immer von eben dieser Tiefe, die er forderte. Dabei bewies er, dass es in einem Gedicht nicht vieler Worte bedarf, um eine entsprechende Wirkung im Leser hervorzurufen.
So ist das erste in der folgenden Liste von Gedichten über Tod, Alter und Vergänglichkeit auch eines seiner kürzesten und schönsten.

Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so beim Wandern mit,
Auf daß es einst mir könne sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz,
Doch blieben meine Arme leer;
Der Stimme Zauber, der du sonst
Nie widerstandest, galt nicht mehr.

Was jetzt dein Leben füllen wird,
Wohin du gehst, wohin du irrst,
Ich weiß es nicht; ich weiß allein,
Daß du mir nie mehr lächeln wirst.

Doch kommt erst jene stille Zeit,
Wo uns das Leben läßt allein,
Dann wird, wie in der Jugend einst,
Nur meine Liebe bei dir sein.

Dann wird, was jetzt geschehen mag,
Wie Schatten dir vorübergehn,
Und nur die Zeit, die nun dahin,
Die uns gehörte, wird bestehn.

Und wenn dein letztes Kissen einst
Beglänzt ein Abendsonnenstrahl,
Es ist die Sonne jenes Tags,
Da ich dich küßte zum erstenmal.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Einer Toten

1
Du glaubtest nicht an frohe Tage mehr,
Verjährtes Leid ließ nimmer dich genesen;
Die Mutterfreude war für dich zu schwer,
Das Leben war dir gar zu hart gewesen. –

Er saß bei dir in letzter Liebespflicht;
Noch eine Nacht, noch eine war gegeben!
Auch die verrann; dann kam das Morgenlicht.
»Mein guter Mann, wie gerne wollt ich leben!«

Er hörte still die sanften Worte an,
Wie sie sein Ohr in bangen Pausen trafen:
»Sorg für das Kind – ich sterbe, süßer Mann.«
Dann halb verständlich noch: »Nun will ich schlafen.«

Und dann nichts mehr; – du wurdest nimmer wach,
Dein Auge brach, die Welt ward immer trüber;
Der Atem Gottes wehte durchs Gemach,
Dein Kind schrie auf, und dann warst du hinüber.

2
Das aber kann ich nicht ertragen,
Daß so wie sonst die Sonne lacht;
Daß wie in deinen Lebenstagen
Die Uhren gehn, die Glocken schlagen,
Einförmig wechseln Tag und Nacht;

Daß, wenn des Tages Lichter schwanden,
Wie sonst der Abend uns vereint;
Und daß, wo sonst dein Stuhl gestanden,
Schon andre ihre Plätze fanden,
Und nichts dich zu vermissen scheint;

Indessen von den Gitterstäben
Die Mondesstreifen schmal und karg
In deine Gruft hinunterweben
Und mit gespenstig trübem Leben
Hinwandeln über deinen Sarg.

Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

O bleibe treu den Toten

O bleibe treu den Toten,
Die lebend du betrübt;
O bleibe treu den Toten,
Die lebend dich geliebt!

Sie starben; doch sie blieben
Auf Erden wesenlos,
Bis allen ihren Lieben
Der Tod die Augen schloß.

Indessen du dich herzlich
In Lebenslust versenkst,
Wie sehnen sie sich schmerzlich.
Daß ihrer du gedenkst!

Sie nahen dir in Liebe,
Allein du fühlst es nicht;
Sie schaun dich an so trübe,
Du aber siehst es nicht.

Die Brücke ist zerfallen;
Nun mühen sie sich bang,
Ein Liebeswort zu lallen,
Das nie hinüberdrang.

In ihrem Schattenleben
Quält eins sie gar zu sehr:
Ihr Herz will dir vergeben,
Ihr Mund vermag's nicht mehr.

O bleibe treu den Toten,
Die lebend du betrübt;
O bleibe treu den Toten,
Die lebend dich geliebt!
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Geh nicht vorbei

Ungläubig schweift dein Blick umher,
und immer wieder klopft dein Herz,
bei manchem Menschen, der hier liegt,
ahnst du den einst gefühlten Schmerz.

Doch lieber Freund, ich sage dir,
schau nicht bloß einzig auf die Jahre,
die dort prangen auf den Steinen,
seit man uns damals trug zur Bahre.

Geh nicht vorbei, bleib bitte stehn,
denn dieses quält mich gar zu sehr,
dass ich für dich bloß eines bin:
nur eine Zahl, und nicht viel mehr.

Mein Stein ist wahrlich grün verwittert,
die Schrift mit Müh noch zu erkennen.
Mein Todesjahr ermuntert dich,
mich einen alten Greis zu nennen.

Dies ist ein Trug, denn lass dir sagen:
die Zeit verging so schnell im Nu.
Und ob du's glaubst jetzt oder nicht:
Ich war einmal GENAU WIE DU!

Deine Kleider sind moderner zwar,
viel fortschrittlicher auch deine Zeit,
doch nur die Jahre trennen uns
von innigster Gemeinsamkeit.

Wie dein Vater hat auch meiner
mich gewippt auf seinem Beine,
meine Mutter liebte mich
ganz genau wie dich die deine.

War verspielt wie du gewesen,
hab als Kind viel ausgeheckt,
und als ich dann reifer wurde,
gern auch mal die Frau'n geneckt.

War verliebt wie du es warst,
mal in diese, mal in jene,
hab mich endlich dann vermählt,
hatte viele große Pläne.

War das Leben wunderschön,
war'n bald nicht mehr nur zu zweit.
Im Hause wurd's nun ganz lebendig,
was war das eine Heiterkeit!

Die Kinder wurden so schnell groß,
bald war es wieder still im Haus,
der Rest der Zeit ging schnell vorüber,
und irgendwann dann war es aus.

War ich zuletzt auch alt und greise,
so bin ich doch viel mehr gewesen,
ein Kind, ein Mann, ein Vater und Freund,
doch davon ist auf dem Stein nichts zu lesen.

War meine Zeit auch eine andere,
ich war genau, wie du jetzt bist!
Bald wirst du neben mir liegen und wissen,
dass dies die tiefste Wahrheit ist.
Andreas Böttcher

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Hinter den Tannen

Sonnenschein auf grünem Rasen,
Krokus drinnen blau und blaß;
Und zwei Mädchenhände tauchen
Blumen pflückend in das Gras.

Und ein Junge kniet daneben,
Gar ein übermütig Blut,
Und sie schaun sich an und lachen –
O wie kenn ich sie so gut!

Hinter jenen Tannen war es,
Jene Wiese schließt es ein –
Schöne Zeit der Blumensträuße,
Stiller Sommersonnenschein!
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Einer sterbenden Mutter

Das heilige Band der Familie
ist fest wie stärkste Ketten sind,
in selbstloser, innigster Liebe
geschmiedet von Eltern und Kind.

Im ewigen Zeitengefüge
geht ihre Bande niemals verloren,
denn was auf Liebe wurde gegründet,
ist für immer und ewig geboren.

Irdischer Tod kann niemals zerstören,
was Liebe zusammenhielt auf Erden,
und Trennung ist nur ein Wimpernschlag,
bis wir uns wiedersehen werden.
Andreas Böttcher

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Letzte Einkehr

Noch wandert er; doch hinter ihm
Schon liegen längst die blauen Berge;
Kurz ist der Weg, der noch zu gehn,
Und tief am Ufer harrt der Ferge.

Doch blinket schon das Abendrot
Und glühet durch das Laub der Buchen;
So muß er denn auch heute noch
Wie sonst am Wege Herberg suchen.

Die liegt in grünen Ranken ganz
Und ganz von Abendschein umglommen;
Am Tore steht ein blondes Kind
Und lacht ihn an und sagt Willkommen.

Seitab am Ofen ist der Platz;
Schon kommt der Wirt mit blankem Kruge.
Das ist ein Wein! – So trank er ihn
Vor Jahren einst in vollem Zuge.

Und endlich schaut der Mond herein
Von draußen durch die dunkeln Zweige;
Es wird so still; der alte Mann
Schlürft träumerisch die letzte Neige.

Und bei des bleichen Sternes Schein
Gedenkt er ferner Sommertage,
Nur halb ein lauschend Ohr geneigt,
Ob jemand klopf' und nach ihm frage.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Mein jüngstes Kind

Ich wanderte schon lange,
Da kamest du daher;
Nun gingen wir zusammen,
Ich sah dich nie vorher.

Noch eine kurze Strecke
– Das Herz wird mir so schwer –,
Du hast noch weit zu gehen,
Ich kann nicht weiter mehr.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Nix as dütt

Wenn ick mi mol wat wünschen schull,
ick wünsch mi nix as dütt:
Noch eenmol wedder Kind to wähn,
ganz tutig, dumm un lütt.

Un denn - wenn`t Heilig-Obend ward -
so in de Schummeree
ganz still in uns lütt Döns to stohn
bi Vadder an de Knee.

Un noch mol seehn, wat Licht üm Licht
sien`n Schien no boben smitt,
un allns wat bunt in`n Dannboom hangt,
dat lücht un blinkert mit.

Un noch mol rüken, wenn an`t Füer
son lütten Danntilln swehlt.
Un noch mol lüstern, wat dat klingt,
wenn uns` lütt Speeldoos speelt.

Un noch mol, wenn dat buten kloppt,
so ganz vull Angst un Freid
mien lütt Gebett dör`t Halslock quäln -
so gau un good as`t geiht.

Un denn doar stohn mit`n Fatt vull Nöt
un mit son heeten Kupp:
"O, Vadder, - Mudder, kiekt doch mol!
Ligt noch wat boben up!"

Dat is mien Wünschen Joahr för Joahr:
Noch eenmol wedder trück
in`t scheune stille Kinnerland,
in`t Land vull luder Glück!

Ick weet uns`Herrgott gift mi`t ne.
Man een Deel weet ick wiß:
Dat sick mien Jung dat jüst so wünscht,
wenn he mol sowied is.
Rudolf Kinau (1887-1975)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Der alte Mann

Feierabend, Wochenende,
überall herrscht reges Leben.
Wo man hinsieht, wimmelt es
von Menschen, die nach Hause streben.

So fahr auch ich, halb wie im Schlafe,
die immer gleiche Strecke heim,
und schau dabei dem Treiben zu -
das Auto kennt den Weg allein.

Da trifft mein Blick eine kleine Gestalt,
auf Höhe der Schule angekommen,
von den heimwärts tobenden Kindern wird
sie jedoch gar nicht wahr genommen.

Den alten Mann, ich kenne ihn,
eigentlich nur vom Vorüberfahren.
Doch ist sein Bild mir so vertraut
geworden in den letzten Jahren.

Die Hose ist zu kurz geraten,
sein Mantel auch schon etwas weit,
der Hut, er ist von gleicher Farbe,
und sah schon eine bess're Zeit.

Dünn wirkt der Alte und zerbrechlich,
vorsichtig geht sein tippelnder Schritt.
Mit der Hektik dieser lauten Welt
kommt er längst schon nicht mehr mit.

Seine müden, blassen Augen scheinen
stumm nur vor sich hin zu blicken.
Nichts verraten sie dem Betrachter,
was er erlebt, was er gelitten.

Seine Zeit, die war eine andere,
und scheint ihm ewig schon entfernt,
jetzt ist des Lebens er so müde,
denn Freude hat er längst verlernt.

So viele hat er sterben sehen,
die Frau, die ging ihm längst voraus,
er lebt in der Erinnerung,
und Heute ist ihm nur noch Graus.

Er rührt mich an, der alte Mann,
und dass wohl niemand an ihn denkt,
drum hab ich ihm so oft im Geiste
schon manches freundlich Wort geschenkt.

Im Spiegel wird er immer kleiner,
bald ist von ihm nichts mehr zu sehen.
So hab ich es auch heut verpasst,
mit ihm ein Stück des Wegs zu gehen.

Wohin er geht und wer er ist,
das werd' ich wohl nie wissen.
Doch ist er eines Tages fort, ich weiß -
ich werde ihn vermissen.
Andreas Böttcher

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Beginn des Endes

Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
Nur ein Gefühl, empfunden eben;
Und dennoch spricht es stets darein,
Und dennoch stört es dich zu leben.

Wenn du es andern klagen willst,
So kannst du's nicht in Worte fassen.
Du sagst dir selber: »Es ist nichts!«
Und dennoch will es dich nicht lassen.

So seltsam fremd wird dir die Welt,
Und leis verläßt dich alles Hoffen,
Bis du es endlich, endlich weißt,
Daß dich des Todes Pfeil getroffen.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Lerne langsam nichts zu sein

Lerne – statt zu reden – schweigen,
fällt es Dir auch noch so schwer,
ehe Dir die andern zeigen:
Deinen Rat – braucht niemand mehr!

Lerne stille Wege gehen,
mag Dich auch die Ruh’ nicht freu’n,
eh’ Du weißt, wie es geschehen,
bist auch Du, ja ganz allein.

Lerne auf die Seite treten,
eh’ man Dich zur Seite schiebt,
Gehe, eh’ man ungebeten,
lächelnd Dir den Abschied gibt.

Lerne ohne Groll zu sehen,
andere an Deiner Stell’,
ihre Zeit wird auch vergehen,
wieder andre folgen schnell.

Lern’ die größte Kunst auf Erden,
macht es Dir auch schwere Pein:
Lerne mit dem Älterwerden
langsam wieder nichts zu sein.
Karl Bäumle

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Das alte Haus

Der Maurer schreitet frisch heraus,
Er soll dich niederbrechen;
Da ist es mir, du altes Haus,
Als hörte ich dich sprechen:
"Wie magst du mich, das lange Jahr'
Der Lieb' und Eintracht Tempel war,
Wie magst du mich zerstören?

Dein Ahnherr hat mich einst erbaut
Und unter frommen Beten
Mit seiner schönen stillen Braut
Mich dann zuerst betreten.
Ich weiß um alles wohl Bescheid,
Und jede Lust, um jedes Leid,
Was ihnen widerfahren.

Dein Vater ward geboren hier
In der gebräunten Stube,
Die ersten Blicke gab er mir,
Der munt're, kräft'ge Bube.
Er schaute auf die Engelein,
Die gaukeln in der Fenster Schein, -
Dann erst auf seine Mutter.

Und als er traurig schlich am Stab,
Nach manchen schönen Jahren,
Da hat er schon, wie still ein Grab,
In meinem Schoß erfahren.
In jener Ecke saß er da,
Und stumm und händefaltend sah
Er sehnlich auf zum Himmel.

Du selbst, - doch nein, das sag' ich nicht,
Ich will von dir nicht sprechen.
Hat dieses alles kein Gewicht,
Magst du mich niederbrechen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein,
Zerstöre du den Tempel sein,
Damit es endlich weiche.

Noch lange Jahre kann ich stehn,
Bin fest genug gegründet,
Und ob sich mit der Stürme Weh'n
Ein Wolkenbruch verbündet,
Kühn rag' ich, wie ein Fels, empor,
Und was ich auch an Schmuck verlor,
Gewann ich's nicht an Würde?

Und hab' ich denn nicht manchen Saal
Und manch geräumig Zimmer?
Und glänzt nicht festlich mein Portal
In alter Pracht noch immer?
Noch jedem hat's in mir behagt,
Kein Glücklicher hat sich beklagt,
Ich sei zu klein gewesen.

Und wenn es einst zum Letzten geht,
Und wenn das warme Leben
In deinen Adern stille steht,
Wird dies dich nicht erheben,
Dort, wo dein Vater sterbend lag,
Wo deiner Mutter Auge brach,
Den letzten Kampf zu streiten?"

Nun schweigt es still, das alte Haus,
Mir aber ist's als schritten
Die toten Väter all' heraus,
Um für das Haus zu bitten;
Und auch in meiner eig'nen Brust,
Wie ruft so manche alte Lust:
Laß stehn das Haus, laß stehen!

Indessen ist der Mauermann
Schon in's Gebälk gestiegen,
Er fängt mit Macht zu brechen an,
Und Stein' und Ziegel fliegen.
"Still, lieber Meister, geh' von hier,
Gern zahle ich den Taglohn dir,
Allein das Haus bleibt stehen."
Friedrich Hebbel (1813-1863)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Grabschrift

Im Schatten dieser Weide ruht
Ein armer Mensch, nicht schlimm noch gut.

Er hat gefühlt mehr als gedacht,
Hat mehr geweint als er gelacht;

Er hat geliebt und viel gelitten,
Hat schwer gekämpft und - nichts erstritten.

Nun liegt er endlich sanft gestreckt,
Wünscht nicht zu werden auferweckt.

Wollt Gott an ihm das Wunder tun,
Er bäte: Herr, o laß mich ruhn!
Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Das bleibende im Wandel

Der Kirschbaum blühte, schwarz war mein Haar,
ich tanzte in der Gefährten Schar.

Der Kirschbaum blühte, grau war mein Haar,
und die Blüte war jung, wie sie damals war.

Auf eines lächelnden Gottes Geheiß
blüht er nun wieder.
Mein Haar ward weiß.
Aus dem Japanischen

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Herbst

Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Daß man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg' ein ferner Frühlingstag.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Das Alter

Das Alter ist ein höflich Mann:
Einmal übers andre klopft er an;

Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.

Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt's, er sei ein grober Gesell.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Altwerden

All der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert,
Und die Weiblein nicht zuletzt.

Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben,
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach, auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute.
Hermann Hesse (1877-1962)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Ein alter Mann geht vorüber

Ich war einmal ein Kind. Genau wie ihr.
Ich war ein Mann. Und jetzt bin ich ein Greis.
Die Zeit verging. Ich bin noch immer hier
Und möchte gern vergessen, was ich weiß.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Nun bin ich mürbe.
Wer lange lebt, hat eines Tags genug.
Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe.
Ich bin so müde. Andre nennen's klug.

Ach, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ich war einmal ein Kind, wie ihr es seid.
Ich war einmal ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit...
Ich könnte euch verschiedenes erzählen,
Was nicht in euren Lesebüchern steht.
Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen,
Sind immer die, um die sich alles dreht.
Wir hatten Krieg. Wir sahen, wie er war.
Wir litten Not und sah'n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Ich hab' ein paar der Lügner gut gekannt.

Ja, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ums Eintrittsgeld tut's mir noch heute leid.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit...

Wir hofften. Doch die Hoffnung war vermessen.
Und die Vernunft blieb wie ein Stern entfernt.
Die nach uns kamen, hatten schnell vergessen.
Die nach uns kamen, hatten nichts gelernt.
Sie hatten Krieg. Sie sahen, wie er war.
Sie litten Not und sah'n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Die großen Lügen werden nie erkannt.

Und nun kommt ihr. Ich kann euch nichts vererben:
Macht, was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
Vernunft muß sich ein jeder selbst erwerben,
Und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.
Die Welt besteht aus Neid. Und Streit. Und Leid.
Und meistens ist es schade um die Zeit.
Erich Kästner (1899-1974)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Mutterns Hände

Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm -
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht...
alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bonbongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragn -
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält...
alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Stricker acht
sechse sind noch am Leben...
alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt
Nu sind se alt
nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.
Kurt Tucholsky (1890-1935)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Mümmelgreise

Mümmelgreise, grau und kalt,
sind oft 70 Jahre alt.

Waschen selten sich mit Seife,
rauchen aus 'ner kalten Pfeife,

tragen meistens schäbige Hüte,
schnupfen aus der Tabakstüte.

Oft auch ist die Frau gestorben,
der Geschlechtstrieb ist verdorben,

und zum Wässern lediglich
dient der Schnibbeldiederich.

Zieht er dazu ihn heraus,
geht der Strahl nicht geradeaus,

und auch nicht im hohen Bogen
wirft er seine Wasserwogen.

Nein, ganz langsam, halb im Schlafe,
wie zum Ton der Äolsharfe,

und in größter Seelenruh'
wässert er sich auf die Schuh'.
Wilhelm Busch (1832-1908) zugeschrieben

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Über das Älterwerden

Das große Glück, noch klein zu sein,
sieht mancher Mensch als Kind nicht ein
und möchte, daß er ungefähr
so 16 oder 17 wär'.

Doch schon mit 18 denkt er: "Halt!
Wer über 20 ist, ist alt."
Warum? Die 20 sind vergnüglich -
auch sind die 30 noch vorzüglich.

Zwar in den 40 - welche Wende -
da gilt die 50 fast als Ende.
Doch in den 50, peu à peu,
schraubt man das Ende in die Höh'!

Die 60 scheinen noch passabel
und erst die 70 miserabel.
Mit 70 aber hofft man still:
"Ich schaff' die 80, so Gott will."

Wer dann die 80 biblisch überlebt,
zielsicher auf die 90 strebt.
Dort angelangt, sucht er geschwind
Nach Freunden, die noch älter sind.

Doch hat die Mitte 90 man erreicht
- die Jahre, wo einen nichts mehr wundert -,
denkt man mitunter: "Na - vielleicht
schaffst du mit Gottes Hilfe auch die 100!"
Unbekannt

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Die Kränze

Die Kränze, die du dir als Kind gebunden,
sie sind verwelkt und längst zu Staub geschwunden.
Doch blüh'n wie damals noch Jasmin und Flieder,
und Kinder binden deine Kränze wieder.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Der Lauf der Dinge

Aus deinem Zimmer klingt Musik -
ich geh g'rad vorbei und schaue hinein.
Da blickst du auf und lächelst und sagst:
Du Papa, komm mal bitte herein.

Wir reden zusammen über dieses und jenes,
bis du dich traust, dein Problem zu nennen
und endlich erzählest von dem Jungen,
den du vor kurzem lerntest kennen.

Und während du dein Herz mir ausgießt,
vergess' ich plötzlich Raum und Zeit,
und Schleier der Erinn'rung ziehen
mich in die Vergangenheit.

Da lacht mich ein kleines Baby an,
wie unaussprechlich war dies Glück,
Mama und ich, wir waren so selig -
ach käme dieser Moment doch zurück.

Was erlebten wir seitdem zusammen,
jeder Tag mit dir als Kind war schön,
ob Geburtstag, Weihnachten, Urlaubszeit,
oder gemeinsam in den Tierpark geh'n.

Was haben wir gemeinsam rumgealbert
und gelacht, dass so manche Träne lief -
unsere Familienbande, sie war so innig,
und das Vertrauen so unendlich tief.

Wir vier, wir waren ein tolles Team,
und ich als Papa, ich war dein Held,
du sagtest: das wirst du IMMER sein!
doch wusste ich, dass dies nicht ewig hält.

Es wird einst kommen ein anderer Mann,
dem wirst du sagen: Jetzt ich bin dein!
Und der Mittelpunkt in deinem Leben -
das werde ich dann nicht mehr sein.

Dann wirst du haben dein eigenes Leben,
mit Ehemann und Haus und Garten,
und ein paar süße Kinder lassen
sicher lang nicht auf sich warten.

Dann wirst du selbst die Mutter sein,
und freust dich, wenn wir dich besuchen,
deine Kinder werden mit uns spielen,
und uns allen schmeckt dein Kuchen.

Und langsam geht die Zeit dahin,
deine Mutter und ich, wir sind jetzt alt,
auch deine Kinder sind längst groß,
und unser Abschied - ist schon bald.

Dann nehm' ich sachte deinen Arm,
um mit dir ein Stück zu gehen,
und leise flüstern wir von Zeiten,
die nur wir noch können sehen.

vDann sind wir wieder in UNSERER Welt,
in der wir lebten vor so vielen Jahren -
in der Henrik und du und Mama und ich
als Familie einst so glücklich waren!

Da weckt eine Stimme mich von ferne:
Papa, hast du Tränen im Gesicht?
Schnell wisch' ich sie fort und antworte nur:
Mein Schatz, alles gut, es ist nichts.
Andreas Böttcher

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Höhe des Sommers

Das Blau der Ferne klärt sich schon
Vergeistigt und gelichtet
Zu jenem süßen Zauberton,
Den nur September dichtet.

Der reife Sommer über Nacht
Will sich zum Feste färben,
Da alles in Vollendung lacht
Und willig ist zu sterben.

Entreiß dich, Seele nun der Zeit,
Entreiß dich deiner Sorgen
Und mache dich zum Flug bereit
In den ersehnten Morgen.
Hermann Hesse (1877-1962)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

An sich selbst

Mir grauet vor mir selbst / mir zittern alle Glider
Wenn ich Lipp' und Nas' und beyder Augen Klufft /
Die blind vom wachen sind / des Athems schwere Lufft
Betracht' / und die nun schon erstorbnen Augen-Lieder.

Die Zunge / schwartz vom Brand fällt mit den Worten nider /
Vnd lalt ich weiß nicht was; die müde Seele rufft /
Dem grossen Tröster zu / das Fleisch reucht nach der Grufft /
Die Aertzte lassen mich / die Schmertzen kommen wider /

Mein Cörper ist nicht mehr als Adern / Fell'/ und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod / das Ligen meine Pein.
Die Schenckel haben selbst nun Träger wol vonnöthen

Was ist der hohe Ruhm / und Jugend / Ehr und Kunst?
Wenn dise Stunde kompt: wird alles Rauch und Dunst.
Vnd eine Noth muß uns mit allem Vorsatz tödten.
Andreas Gryphius (1616-1664)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Schmetterlings Sterbelied

„Leb' wohl, mein Vater Sonnenschein!
Du, meine Mutter Blütenduft!
Ihr Schwestern all' und Brüderlein
Im süßen Hauch der Himmelsluft!

Ich schwebte gern mit euch umher
In Wald und Wiese, Au und Feld;
Nie war mein Herz von Sorgen schwer,
Ungern verlass' ich diese Welt."

So sang der müde Schmetterling,
So sang er sich sein Sterbelied.
Kaum als er an zu leben fing,
War hin sein Leben und er schied.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Angesichts des Todes

Ergeben trug ich all die Leiden,
Die mir das Schicksal ausersah;
Doch kommt es nun ans letzte Scheiden,
O bleibe du mir treulich nah!

Siehst du mein Antlitz starr erblassen,
O schaudre nicht, o halte Stand!
Laßss mich bewegt noch einmal fassen
Und drücken deine liebe Hand.

Lass mich empor die Blicke schlagen
Zu deinen Augen fromm und klar
Und meinen letzten Puls dir sagen,
Wie ganz dies Herz dein eigen war.
Otto Baisch (1840-1892)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Schlussstück

Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen,
Lachenden Munds.

Wenn wir uns mitten im Leben meinen
Wagt er zu weinen
Mitten in uns.
Rainer Maria Rilke (1875-1926)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Rasch tritt der Tod den Menschen an

Rasch tritt der Tod den Menschen an,
es ist ihm keine Frist gegeben;
es stürzt ihn mitten aus der Bahn,
es reißt ihn fort vom vollen Leben.
Bereitet oder nicht, zu gehn,
er muß vor seinen Richter stehen!
Friedrich von Schiller (1759-1805)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wo?

Wo wird einst des Wandermüden
letzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden?
Unter Linden an dem Rhein?

Werd' ich wo in einer Wüste
eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh' ich an der Küste
eines Meeres in dem Sand?

Immerhin mich wird umgeben
Gottes Himmel dort wie hier,
und als Totenlampen schweben
nachts die Sterne über mir.
Heinrich Heine (1797-1856)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Der Tod steht schon am Orte

Der Tod steht schon am Orte,
Wo sich ein Leben regt.
Der Tod steht an der Pforte,
Wo man zu Grabe trägt.

Er geht im Leidgefolge
Ungesehen mit,
Wie er dabei gewesen
Im Leben Schritt für Schritt.

Zum König wie zum Bettler
Sagt er sein letztes Du
Und schließt mit stummen Händen
Die dunkle Pforte zu.

Und geht mit uns nachhause
Und ißt das Abendbrot
Und schweigt und weiß doch alles,
Der Herr der Welt, der Tod.
Matthias Claudius (1740-1815)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Zu spät

Ach, daß ich verpaßt, verpaßt die Zeit,
Da die Welt so offen noch war und so weit,
Und die Weiber so heiß und mein Herz so toll,
Und die Brüste so weiß und die Lippen so voll!

Die Tafel des Lebens war reich besetzt,
Und alles hat sich an ihr ergetzt.
Nur ich lag draußen wie ein Hund
Mit hungrigem Herzen und lechzendem Mund.

Nun klafft die Tür … Und hinein! – In der Luft
Liegt noch von all dem Süßen der Duft!
Doch glatt sind die Platten, die Becher leer –
Nur welke Rosen liegen umher.

Und das Alter mit grämlichem Angesicht
Räumt ab die Tafel und höhnt und spricht:
– Zu spät, mein Hündchen! Hinaus! Hinaus!
– Und der Tod löscht lächelnd die Lichter aus…
Anton Alfred Noder (1864 - 1936)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Vergiß mein nicht

Vergiß mein nicht, wenn lockre kühle Erde
Dies Herz einst deckt, das zärtlich für dich schlug.
Denk, daß es dort vollkommner lieben werde,
Als da voll Schwachheit ich's vielleicht voll Fehler trug.

Dann soll mein freier Geist oft segnend dich umschweben
Und deinem Geiste Trost und süße Ahndung geben.
Denk, daß ich's sey, wenns sanft in deiner Seele spricht:
Vergiß mein nicht! Vergiß mein nicht!
Novalis (1772 - 1801)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Ausgang

Immer enger, leise, leise,
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
Theodor Fontane (1819-1898)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Auch der andre, der bist du

Was die Erde mir geliehen,
Fordert sie schon jetzt zurück.
Naht sich, mir vom Leib zu ziehen
Sanft entwindend Stück für Stück.

Um so mehr, als ich gelitten,
Um so schöner ward die Welt.
Seltsam, dass, was ich erstritten,
Sachte aus der Hand mir fällt.

Um so leichter, als ich werde,
Um so schwerer trag' ich mich.
Kannst du mich, du feuchte Erde,
Nicht entbehren? frag' ich dich.

"Nein, ich kann dich nicht entbehren,
Muss aus dir ein' andern bauen,
Muss aus dir ein' andern nähren,
Soll sich auch die Welt anschauen.

Doch getröste dich in Ruh'.
Auch der andre, der bist du."
Peter Rosegger (1843-1918)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Menschliches Elende

Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmertzen.
Ein Baal deß falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit.
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharffem Leid /
Ein bald verschmeltzter Schnee und abgebrante Kertzen.

Diß Leben fleucht davon wie ein Geschwätz vnd Schertzen.
Die vor uns abgelegt deß schwachen Leibes Kleid
Und in das todten-Buch der grossen Sterbligkeit
Längst eingeschrieben sind / sind uns auß Sinn und Hertzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfällt /
Und wie ein Strom verscheust / den keine Macht auffhält:
So muß auch unser Nahm / Lob Ehr und Ruhm verschwinden /

Was itzund Athem holt / muß mit der Lufft entflihn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nach zihn
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starcken Winden
Andreas Gryphius (1616-1664)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Feldeinsamkeit

Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
und sende lange meinen Blick nach oben,
von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlass,
von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Und schöne weiße Wolken ziehn dahin
durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; -
mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
und ziehe selig mit durch ewge Räume.
Hermann Allmers (1821-1902)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wandrers Nachtlied

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde,
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Am Jahrestag

Heut ist’s ein Jahr, dass man hinaus dich trug,
Hin durch die Gasse ging der lange Zug,
Die Sonne schien, es schwiegen Hast und Lärmen,
Die Tauben stiegen auf in ganzen Schwärmen.

Und rings der Felder herbstlich buntes Kleid,
Es nahm dem Trauerzuge fast sein Leid,
Ein Flüstern klang mit ein in den Choral,
Nun aber schwieg’s, - wir hielten am Portal.

Der Zug bog ein, da war das frische Grab,
Wir nächsten beide sahen still hinab,
Der Geistliche, des Tages letztes Licht
Umleuchtete sein freundlich ernst Gesicht,

Und als er nun die Abschiedsworte sprach,
Da sank der Sarg und Blumen fielen nach,
Spätrosen, rot und weiße, weiße Malven
Und mit den Blumen fielen die drei Salven.

Das klang so frisch in unser Ohr und Herz,
Hinschwand das Leid uns, aller Gram und Schmerz,
Das Leben, war dir’s wenig, war dir’s viel?
Ich weiß das eine nur, du bist am Ziel,

In Blumen durftest du gebettet werden,
Du hast die Ruh nun, Erde wird zu Erden,
Und kommt die Stund’ uns, dir uns anzureihn,
So lass die Stunde, Gott, wie diese sein.
Theodor Fontane (1819-1898)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Alter

Das aber ist des Alters Schöne,
Dass es die Saiten reiner stimmt,
Dass es der Lust die grellen Töne,
Dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.

Ermessen lässt sich und verstehen
Die eig’ne mit der fremden Schuld,
Und wie auch rings die Dinge gehen,
Du lernst dich fassen in Geduld.

Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
Es schwindet des Verfehlten Pein -
Und also wird der Rest des Lebens
Ein sanftes Rückerinnern sein.
Ferdinand von Saar (1833-1906)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Tränen in schwerer Krankheit

Mir ist ich weiß nicht wie, ich seufze für und für.
Ich weine Tag und Nacht, ich sitz in tausend Schmerzen;
Und tausend fürcht ich noch, die Kraft in meinem Herzen
Verschwindt, der Geist verschmacht, die Hände sinken mir.
Die Wangen werden bleich, der schönen Augen Zier

Vergeht, gleich als der Schein der schon verbrannten Kerzen.
Die Seele wird bestürmt gleich wie die See im Märzen.
Was ist dies Leben doch, was sind wir, ich und ihr?

Was bilden wir uns ein! was wündschen wir zu haben?
Itzt sind wir hoch und groß, und morgen schon vergraben:

Itz Blumen, morgen Kot, wir sind ein Wind, ein Schaum,
Ein Nebel, eine Bach, ein Reiff, ein Tau' ein Schaten.
Itz was und morgen nichts, und was sind unser Taten?
Als ein mit herber Angst durchaus vermischter Traum.
Andreas Gryphius (1616-1664)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Unwandelbar

O fürchte nicht, wenn dir das Alter
Vom Haupte Blüt’ um Blüte bricht,
Dass dann ein Blick, ein trüber, kalter,
Fall’ auf dein bleiches Angesicht.

Wohl blässer wird der äußre Schimmer,
Doch heller wird der innre Schein;
Drum lieber nur und tiefer immer
Schau’ ich ins Auge dir hinein.

Da seh’ ich all’ die Liebesfülle,
Die reicher ward von Jahr zu Jahr;
Es dringet durch des Alters Hülle
Der Seele Schönheit hell und klar.

Da seh’ ich nicht die müden Wangen,
Der Jahre Furchen seh’ ich nicht –
Es ist mir strahlend aufgegangen
Dein innres Engelsangesicht.
Ludwig Pfau (1821-1894)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

O lieb’, solang du lieben kannst!

O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, dass dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb’!
Und mach’ ihm jede Stunde froh,
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.

O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und nass,
- Sie sehn den andern nimmermehr -
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.

Und sprichst: O schau’ auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, dass ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!

Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, dass du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küsste, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!

Er tat’s, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort -
Doch still - er ruht, er ist am Ziel!

O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Ferdinand Freiligrath (1810-1876)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

In der Fremde

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.

Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
Und keiner mehr kennt mich auch hier.
Joseph von Eichendorff (1788-1857)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Werd' ich einst gestorben sein...

Werd’ ich einst gestorben sein,
Werden dies und das sie sagen,
Dir doch ist bekannt allein,
Wofür hier mein Herz geschlagen.

Lass sie schwatzen immerhin
Über dem verscharrten Herzen,
Stumm, wie ich im Grabe bin,
Sei du stumm in deinen Schmerzen.

Meinen Schatten sollen nicht
Stören deines Auges Tränen,
Wenn er aus dem Sarge bricht,
Zu dir schwebt in seinem Sehnen.

Denn solang du lebest hier,
Kann ich nicht die Erde lassen,
Ohne dich, ich sag’s nur dir,
Würd’ ich selbst den Himmel hassen.

Bis gebrochen auch dein Herz,
Löst sich nicht mein Bann hienieden,
Dann erst schweb’ ich himmelwärts
Mit dir in der Sterne Frieden.
Justinus Kerner (1786-1862)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wer je gelebt in Liebesarmen

Wer je gelebt in Liebesarmen,
Der kann im Leben nie verarmen;
Und müsst er sterben fern, allein,

Er fühlte noch die sel'ge Stunde,
Wo er gelebt an ihrem Munde,
Und noch im Tode ist sie sein.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Sommerbild

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schaudernd im Vorübergehn:
So weit im Leben ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
Friedrich Hebbel (1813-1863)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Meiner Mutter

Wie oft sah ich die blassen Hände nähen,
Ein Stück für mich - wie liebevoll du sorgtest.

Ich sah zum Himmel deine Augen flehen,
Ein Wunsch für mich - wie liebevoll du sorgtest.

Und an mein Bett kamst du mit leisen Zehen,
Ein Schutz für mich - wie sorgenvoll du horchtest.

Schon längst dein Grab die Winde überwehen,
Ein Gruß für mich - wie liebevoll du sorgtest.
Detlev von Liliencron (1844-1909)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Welkes Blatt

Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
Laß es still geschehen.
Laß vom Winde, der dich bricht,
Dich nach Hause wehen.
Hermann Hesse (1877-1962)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Alles ist eins

Einmal, am Rande des Hains,
stehn wir einsam beisammen
und sind festlich, wie Flammen -
fühlen: Alles ist Eins.

Halten uns fest umfaßt;
werden im lauschenden Lande
durch die weichen Gewande
wachsen wie Ast an Ast.

Wiegt ein erwachender Hauch
die Dolden des Oleanders:
sieh, wir sind nicht mehr anders,
und wir wiegen uns auch.

Meine Seele spürt,
daß wir am Tore tasten.
und sie fragt dich im Rasten:
Hast du mich hergeführt?

Und du lächelst darauf
so herrlich und heiter
und: bald wandern wir weiter:
Tore gehn auf...

Und wir sind nicht mehr zag,
unser Weg wird kein Weh sein,
wird eine lange Allee sein
aus dem vergangenen Tag.
Rainer Maria Rilke (1875-1926)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Dreifach ist der Schritt der Zeit

Dreifach ist der Schritt der Zeit,
zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
pfeilschnell ist das jetzt entflogen,
ewig still steht die Vergangenheit.
Friedrich von Schiller (1759-1805)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Bei einer Kindesleiche

Den niemand kommen hört und kommen sieht,
Er hat geweht, der Wind, den Baum geschwungen,
Des Wurzelwerk die Erde überzieht,
In dessen Kron' ich dieses Lied gesungen;
Das jüngste Knösplein, gestern dran erblüht,
Hat über Nacht sich leise losgerungen;
Es fiel, und niemand gab wohl weiter acht,
Als ich, der mit dem Zufall hielt die Wacht.

So bist erlöscht du, lieblich junges Licht,
Das mir erquickend in das Herz gezündet?
Noch sprach zwei Wörtchen deine Zunge nicht,
Doch hat dein Lallen mir so viel verkündet!
Das Sehnen, das die zartsten Bande flicht,
Es hat tiefinnig mich mit dir verbündet;
Ja, vor viel Grossem unter dieser Sonnen
Hab' ich dich kleinen Nachbar wertgewonnen!

Ob ich gen Himmel sah, ins blaue Meer,
Ob in dein Aug', es war das gleiche Schauen;
Es leuchtete aus diesen Sternen her
Ursprünglich helles Licht von schönern Auen.
Wie oft senkt' ich den Blick, von Mühsal schwer,
Ihn frischend, tief in dies verklärte Blauen!
Wie war das Lachen deines Mundes fein!
Wie echt war unsre Freundschaft, still und rein!

Nie hab' an deine Zukunft ich gedacht,
War ja die Gegenwart so klar und heiter!
Du hast wie eine Blume mir gelacht,

Nicht dacht' ich an gereifte Früchte weiter;
Ob einst vielleicht ein Held in dir erwacht',
Ob du am Fuße bliebst der langen Leiter:
Du lieblich Kind warst in dir selbst vollkommen -
Was sollte dir und mir die Sorge frommen?

Zu der du wiederkehrst, grüß' mir die Quelle,
Des Lebens Born, doch besser, grüß' das Meer,
Das eine Meer des Lebens, dessen Welle
Hoch flutet um die dunkle Klippe her,
Darauf er sitzt, der traurige Geselle,
Der Tod, verlassen, einsam, tränenschwer,
Wenn ihm die Seelen, kaum hier eingefangen,
Laut jubelnd wieder in die See gegangen.
Gottfried Keller (1819-1890)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Am Ende meiner Reise

Und am Ende meiner Reise
hält der Ewige die Hände
und er winkt und lächelt leise -
und die Reise ist zu Ende
Matthias Claudius (1740-1815)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Vergänglichkeit der Schönheit

Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand
Dir endlich mit der Zeit umb deine Brüste streichen
Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen;
Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand

Der Augen süsser Blitz, die Kräffte deiner Hand
Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen
Das haar, das itzund kan des Goldes Glantz erreichen
Tilget endlich tag und jahr als ein gemeines band.

Der wohlgesetzte Fuss, die lieblichen Gebärden
Die werden theils zu Staub, theils nichts und nichtig werden
Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner pracht.

Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen
Dein Hertze kan allein zu aller Zeit bestehen
Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Der Mutter Grab

Dort unter den schattigen Linden,
Wo frische Blumen blüh'n,
Ruht aus eine gute Mutter
Von ihres Lebens Müh'n.

Sie sieht nicht ihre Kinder,
Sie ahnt nicht unsern Schmerz;
Geschlossen ist ihr Auge,
Und ruhig bleibt ihr Herz.

Mit jedem Frühling werden
Die Linden wieder grün,
Und an dem Grabeshügel
Die Blumen wieder blüh'n.

Dann blicken die Linden und Blumen
Gar fröhlich himmelwärts,
Doch unsern Blick beugt nieder
Zum Grabe tief der Schmerz.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Ich habe dir so viel zu sagen

Ich habe Dir so viel zu sagen,
Ich glaub' nicht, daß mein Leben reicht,
Das Leben, das nach kurzen Tagen
Dem großen Todesschweigen weicht.

Mein Lied soll mir nie sterben gehen,
Sein Leben niemals ihm entflieht.
Wenn Herz und Atem still mir stehen,
Mein Lied noch singend vor Dir kniet.
Max Dauthendey (1867-1918)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wie wenn das Leben wär nichts andres

Wie wenn das Leben wär nichts andres
als das Verbrennen eines Lichts!
Verloren geht kein einzig Teilchen,
jedoch wir selber gehn ins Nichts!

Denn was wir Leib und Seele nennen,
so fest in eins gestaltet kaum,
es löst sich auf in tausend Teilchen
und wimmelt durch den öden Raum.

Es waltet stets dasselbe Leben,
Natur geht ihren ewgen Lauf;
in tausend neu erschaffnen Wesen,
stehn diese tausend Teilchen auf.

Das Wesen aber ist verloren,
das nur durch diesen Bund bestand,
wenn nicht der Zufall die verstaubten
aufs Neue zu einem Sein verband.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Wo ist er nun?

Der Strom, der neben mir verrauschte, wo ist er nun?
Der Vogel, dessen Lied ich lauschte, wo ist er nun?
Wo ist die Rose, die die Freundin am Herzen trug,
Und jener Kuß, der mich berauschte, wo ist er nun?
Und jener Mensch, der ich gewesen, und den ich längst
Mit einem andern Ich vertauschte, wo ist er nun?
August von Platen (1796-1835)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Eine Frühlingsnacht

Im Zimmer drinnen ist's so schwül;
Der Kranke liegt auf dem heißen Pfühl.

Im Fieber hat er die Nacht verbracht;
Sein Herz ist müde, sein Auge verwacht.

Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand;
Er hält die Uhr in der weißen Hand.

Er zählt die Schläge, die sie pickt,
Er forschet, wie der Weiser rückt;

Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht,
Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht.

Die Wartfrau sitzt geduldig dabei,
Harrend, bis alles vorüber sei. -

Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tod;
Und draußen dämmert das Morgenrot.

An die Fenster klettert der Frühlingstag.
Mädchen und Vögel werden wach.

Die Erde lacht in Liebesschein,
Pfingstglocken läuten das Brautfest ein;

Singende Bursche ziehn übers Feld
Hinein in die blühende, klingende Welt. -

Und immer stiller wird es drin;
Die Alte tritt zum Kranken hin.

Der hat die Hände gefaltet dicht;
Sie zieht ihm das Laken übers Gesicht.

Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer;
Und drinnen wacht kein Auge mehr.
Theodor Storm (1817-1888)

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Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Ein Sterbender

Am Fenster sitzt er, alt, gebrochnen Leibes,
Und trommelt müßig an die feuchten Scheiben;
Grau ist der Wintertag und grau sein Haar.
Mitunter auch besieht er aufmerksam
Der Adern Hüpfen auf der welken Hand.
Es geht zu Ende; ratlos irrt sein Aug
Von Tisch zu Tisch, drauf Schriftwerk aller Art,
Sein harrend, hoch und höher sich getürmt.
Vergebens! Was er täglich sonst bezwang,
Es ward ein Berg; er kommt nicht mehr hinüber.
Und dennoch, wenn auch trübe, lächelt er
Und sucht wie sonst noch mit sich selbst zu scherzen;
Ein Aktenstoß, in tücht'gen Stein gehauen,
Es dünket ihn kein übel Epitaph.
Doch streng aufs neue schließet sich sein Mund;
Er kehrt sich ab, und wieder mit den grellen
Pupillen starrt er in die öde Luft
Und trommelt weiter an die Fensterscheiben.

Da wird es plötzlich hell; ein bleicher Strahl
Der Wintersonne leuchtet ins Gemach
Und auf ein Bild genüber an der Wand.
Und aus dem Rahmen tritt ein Mädchenkopf,
Darauf wie Frühtau noch die Jugend liegt;
Aus großen, hold erstaunten Augen sprüht
Verheißung aller Erdenseligkeit.
Er kennt das Wort auf diesen roten Lippen,
Er nur allein. Erinnrung faßt ihn an;
Fata Morgana steigen auf betörend;
Lau wird die Luft - wie hold die Düfte wehen!
Mit Rosen ist der Garten überschüttet,
Auf allen Büschen liegt der Sonnenschein.
Die Bienen summen; und ein Mädchenlachen
Fliegt süß und silbern durch den Sommertag.
Sein Ohr ist trunken. »Oh, nur einmal noch!«
Er lauscht umsonst, und seufzend sinkt sein Haupt.
»Du starbst. - Wo bist du? - Gibt es eine Stelle
Noch irgendwo im Weltraum, wo du bist? -
Denn daß du mein gewesen, daß das Weib
Dem Manne gab der unbekannte Gott -
Ach dieser unergründlich süße Trunk,
Und süßer stets, je länger du ihn trinkst,
Er läßt mich zweifeln an Unsterblichkeit;
Denn alle Bitternis und Not des Lebens
Vergilt er tausendfach; und drüberhin
Zu hoffen, zu verlangen weiß ich nichts!«
In leere Luft ausstreckt er seine Arme:
»Hier diese Räume, wo du einst gelebt,
Erfüllt ein Schimmer deiner Schönheit noch;
Nur mir erkennbar? wenn auch meine Augen
Geschlossen sind, von keinem dann gesehn.«

Vor ihm mit dunklem Weine steht ein Glas,
Und zitternd langet seine Hand danach;
Er schlürft ihn langsam, aber auch der Wein
Erfreut nicht mehr sein Herz. Er stützt das Haupt.
»Einschlafen, fühl ich, will das Ding, die Seele,
Und näher kommt die rätselhafte Nacht!« - -
Ihm unbewußt entfliehen die Gedanken
Und jagen sich im unermeßnen Raum. -
Da steigt Gesang, als wollt's ihn aufwärts tragen;
Von drüben aus der Kirche schwillt der Chor.
Und mit dem innern Auge sieht er sie,
So Mann als Weib, am Stamm des Kreuzes liegen.
Sie blicken in die bodenlose Nacht;
Doch ihre Augen leuchten feucht verklärt,
Als sähen sie im Urquell dort des Lichts
Das Leben jung und rosig auferstehn.

»Sie träumen«, spricht er - leise spricht er es -
»Und diese bunten Bilder sind ihr Glück.
Ich aber weiß es, daß die Todesangst
Sie im Gehirn der Menschen ausgebrütet.«
Abwehrend streckt er seine Hände aus:
»Was ich gefehlt, des einen bin ich frei;
Gefangen gab ich niemals die Vernunft,
Auch um die lockendste Verheißung nicht;
Was übrig ist - ich harre in Geduld.«
Mit klaren Augen schaut der Greis umher;
Und während tiefer schon die Schatten fallen,
Erhebt er sich und schleicht von Stuhl zu Stuhl,
Und setzt sich noch einmal dort an den Tisch,
Wo ihm so manche Nacht die Lampe schien.
Noch einmal schreibt er; doch die Feder sträubt sich;
Sie, die bisher dem Leben nur gedient,
Sie will nicht gehen in den Dienst des Todes;
Er aber zwingt sie, denn sein Wille soll
So weit noch reichen, als er es vermag.

Die Wanduhr mißt mit hartem Pendelschlag,
Als dränge sie, die fliehenden Sekunden;
Sein Auge dunkelt; ungesehen naht,
Was ihm die Feder aus den Fingern nimmt.
Doch schreibt er mühsam noch in großen Zügen,
Und Dämmrung fällt wie Asche auf die Schrift:
»Auch bleib der Priester meinem Grabe fern;
Zwar sind es Worte, die der Wind verweht,
Doch will es sich nicht schicken, daß Protest
Gepredigt werde dem, was ich gewesen,
Indes ich ruh im Bann des ew'gen Schweigens.«
Theodor Storm (1817-1888)

pfeil-oben

Gedichte über Tod, Alter und Vergänglichkeit

Geh nicht hinein

Im Flügel oben hinterm Korridor,
Wo es so jählings einsam worden ist
- Nicht in dem ersten Zimmer, wo man sonst
Ihn finden mochte, in die blasse Hand
Das junge Haupt gestützt, die Augen träumend
Entlang den Wänden streifend, wo im Laub
Von Tropenpflanzen ausgebälgt Getier
Die Flügel spreizte und die Tatzen reckte,
Halb Wunder noch, halb Wissensrätsel ihm
- Nicht dort; der Stuhl ist leer, die Pflanzen lassen
Verdürstend ihre schönen Blätter hängen;
Staub sinkt herab; - nein, nebenan die Tür,
In jenem hohen dämmrigen Gemach
- Beklommne Schwüle ist drin eingeschlossen -,
Dort hinterm Wandschirm auf dem Bette liegt
Etwas - geht nicht hinein! Es schaut dich fremd
Und furchtbar an.

Vor wenig Stunden noch
Auf jenen Kissen lag sein blondes Haupt;
Zwar bleich von Qualen, denn des Lebens Fäden
Zerrissen jäh; doch seine Augen sprachen
Noch zärtlich, und mitunter lächelt' er,
Als säh er noch in goldne Erdenferne.
Da plötzlich losch es aus; er wußt es plötzlich
- Und ein Entsetzen schrie aus seiner Brust,
Daß ratlos Mitleid, die am Lager saßen,
In Stein verwandelte -, er lag am Abgrund;
Bodenlos, ganz ohne Boden. - »Hilf!
Ach Vater, lieber Vater!« Taumelnd schlug
Er um sich mit den Armen; ziellos griffen
In leere Luft die Hände; noch ein Schrei -
Und dann verschwand er.

Dort, wo er gelegen,
Dort hinterm Wandschirm, stumm und einsam liegt
Jetzt etwas; - bleib, geh nicht hinein! Es schaut
Dich fremd und furchtbar an; für viele Tage
Kannst du nicht leben, wenn du es erblickt.
»Und weiter - du, der du ihn liebtest -, hast
Nichts weiter du zu sagen?«

Weiter nichts.
Theodor Storm (1817-1888)

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